Gedichte

Herbstlicht

 

 

In erster Lilie vergiß nicht

bald fällt die Sonne hinter die Häuser beim Einzug

 

der kürzeren Tage – sie fassen die Nacht am Schlafittchen

tagträumend noch, schlafwandelnd schon

 

wohin du dann schaust: herbstlicht leuchtet

im Purpurkleid ruft dich das carpe diem

der Astern

 

 

                                          (2016, unveröffentlicht)

 

 

 

 

 

Dritter Stock Hinterhaus

 

 

ich erinnere mich deiner Einsilbigkeiten und mancher

meiner Erwiderungen – nein, keine Angst

keine Zitate

 

wir glaubten an das Schwungrad der Tage, weißt du noch,

jung waren wir und leichtfüßig, mühelos

der Aufstieg

 

dritter Stock Hinterhaus Nordseite, das Treppenhaus

nicht gerade feierlich, Anstrich ocker und

dunkelbraun

 

senatsgeförderte Renovierung mit Mietpreisbindung

gab’s damals noch,

zwei Zimmer, Küche, Außenklo

 

viel brauchten wir nicht

denn die Jahre trugen uns im Maul

wie die Hündin ihren Welpen, versinkend in samtenen

 

Hautfalten, und wenn wir uns liebten, überließen

wir uns, arglos bisweilen, ihren

zärtlichen Zähnen

 

 

(in der Anthologie: Liebe und andere Ungereimtheiten. Gedichte. Edition exemplum, ATHENA 2013)

                                         

 

 

Äquinoktium

 

 

vor Mitternacht, ein Zwischenreich, bewohnt von Geistern

Scheingefechten, abgerissnen Melodien,

Doppelkopfgelächter, Kopfsteinpflasterweisen –

alles tönt und treibt vorüber

 

wenn endlich ausgetrunken Weltgeschrei und Wein

näht sie für mich, die Zeit, mit ihrer ewig neuen Nadel

zusammen Tag und Nacht in Gleich und Gleich

und ruft den Märzenbecher

 

es mundet schon dem Ohr die Stille,

schwankend steht das Ich auf unsichtbarer Naht,

zählt nicht die Scherben, nicht die Schritte

und geht zur Ruh, bevor der frühe Vogel tagt

 

                                      (2009*)

 

 

 

 

Einer, der auszieht

ein Verjüngter,

das Lieben zu lernen.

 

Einer, der zurückkehrt,

ein alter Mann

mit müdem Schritt.

 

So warte ich

vergebens hoffend

Nächte, Nächte, Tage

und niemals heilt die Wunde Zeit.

Zum Abschied streift mich lächelnd

bang der eine seiner Flügel,

derweil sein andrer schon

woanders weilt. 

 

                                                          (1984*)

 

 *erschienen in Im Mantelsaum der Zeit. Gedichte.